Jeder Straßenfotograf sollte es zumindest mal versucht haben. Das gefragte Straßenportrait zwingt uns aus unserer Komfortzone herauszukommen und kostet oft auch einiges an Überwindung. Beim Überschreiten dieser selbstgesteckten Grenzen lernt man aber auch etwas über sich, es hilft Vorurteile abzubauen und es stärkt auch die eigene Persönlichkeit.
Read MoreStreetphotography Workshop mit #RALLEBUZZ
Mann, wie habe ich mich darauf gefreut. Mein absoluter Lieblingsfotograf gab einen Workshop in meiner Nähe.
Es ist Anfang Februar. Das Wetter scheint heute gut zu werden. Ich sehe kaum Wolken am Himmel und die Wettervorhersage verspricht Frühlingshafte Temperaturen. Ich befinde mich am Osthof in Leipzig. Das Künstlerviertel macht schon bei der Einfahrt einen spannenden Eindruck: verlassene Industriegebäude, viel Metall, Backsteine, Glas und: Grafitti wohin man Sieht. Ein sehr junges Szeneviertel ist hier entstanden, es gefällt mir hier sofort. Ich saß noch im Auto, und war schon auf Motivsuche. Erste Ideen schossen mir durch den Kopf. Bereits auf dem Gelände vor dem Studio traf ich Ralf Scherer. Der Fotograf, von dem ich so viel lernen wollte, und schon einiges gelernt hatte. Seine Bilder erzählen Geschichten, er hat das Auge und die Fähigkeit, die wirklich interessanten Dinge des Alltags auf einem Foto festzuhalten. Ich bewundere das und es inspiriert mich immer wieder aufs Neue. Dabei steht bei ihm immer der Mensch im Mittelpunkt. Seine erfolgreiche Ausstellung „Fokus Mensch“, für die er bereits zum 10. Mal einen neuen Ausstellungsort gefunden hat , aktuell im Marien Hospital in Witten, kann noch bis zum 31.03.2019 besucht werden.
Nach kurzer Zeit trafen dann alle Kursteilnehmer im Studio ein, und es konnte losgehen. Rallebuzz, so nennt sich Ralf in den sozialen Netzwerken, begeisterte uns sehr schnell durch seine sehr Symphatische und ruhige, unaufgeregte Art. Er zeigte einen Abriss der Geschichte der Straßenfotografie mit spannenden werken der großen Namen der Fotografiegeschichte.
Wirklich Praxisnah wurde es dann, als er seine Bilder Zeigte- eine der Kursteilnehmerinnen Fragte etwas ungläubig sicherheitshalber nochmal nach: hast du die Bilder gemacht ? Jedem war jetzt klar: hier versteht einer etwas von Fotografie…. und wie! Sehr emotional wurde es dann, als er uns von der Begegnung mit Peter, einem Obdachlosen aus Düsseldorf erzählte. Spätestens hier hatte es uns alle gepackt, wir waren elektrisiert und wollten schon bald losziehen. Nach ein paar praxisnahen Tipps für den Fotowalk sollte es dann losgehen. Damit wir nicht ganz Ziel und Planlos beginnen sollten, Zogen wir alle ein paar Karten, aus der Bigger Picture „Streetphotography Edition“- coole Idee.
Keine 50 Meter vom Studio fand sich bereits das erste Motiv: ein improvisierter Passbildautomat stand hier einfach so am Straßenrand, 2 Passanten kamen näher und gingen rein. Perfekt!
Circa 10 Minuten später fragte einer der Kursteilnehmer bereits den ersten Fremden nach einem Portrait: voller Erfolg. Es folgte eine kurze Unterhaltung mit Dieter, dem Besitzer eines Bratwurstwagens der mittels Petition sein Überleben an diesem Standort sichern konnte. Die Brücke im Park bot ebenfalls viele spannende Motive.
So ginge es die nächsten Stunden weiter, bis das warme Sonnenlicht weg und die kalte Dunkelheit Einzug hielt.
Wieder zurück, Im Osthofstudio mussten wir erstmal verschnaufen. Über 7 Kilometer Laufweg und mehrere Hundert Bilder als Ausbeute. Nun war erstmal Bilder bearbeiten angesagt. Danach zeigte dann jeder seine 5-10 besten Ergebnisse vom Nachmittag. Es waren wirklich tolle Bilder dabei, ich war begeistert von den Ergebnissen der anderen.
Gegen 21:00 dann löste sich unsere Gemeinschaft wieder auf und ich machte mich auf den Heimweg. Für mich hat sich der Tag mehr als gelohnt. Es war faszinierend zu sehen, wie schnell hier die meisten von Ralfs Bildern haben anstecken lassen und gleich so große Fortschritte gemacht haben. Auch ich habe viel dazugelernt. Z.B. mehr in Ebenen zu denken und somit eine Verbindung zwischen Vorder und Hintergrund zu erreichen. Ich hoffe, ich schaffe es schon bald, mich mit einigen der Kursteilnehmer zu einem kleinen Fotowalk an gleicher Stelle verabreden zu können, denn dieser Teil Leipzig bietet einem , wenn man Zeit mitbringt und sich darauf einlässt, sehr viel Spaß bei meiner Leidenschaft: Fotografie. Ein Besonderer Dank geht an Ralf Scherer, über unser Treffen habe ich mich sehr gefreut. Ich freue mich schon darauf, seine neue Ausstellung im Herbst in Dortmund zu Besuchen.
Webseite Ralf Scherer: www.ralfscherer.com
Workshoplocation: www.osthofstudio.de https://www.instagram.com/osthofstudio.de
einige Kursteilnehmer:
https://www.instagram.com/philipperic https://www.instagram.com/steffiecelvin
Portrait #01 Thomas Leuthard
Wenn manim Internet nach Streetfotografie sucht, trifft man schon bei den ersten Ergebnissen unweigerlich auf ihn: den Schweizer, der Jahrelang auf allen möglichen Plattformen aktiv war und die Straßenfotografie binnen kurzer Zeit nicht nur im deutschsprachigen Raum populär gemacht hat.
Auch für mich hat er das Fenster zur Streetfotografie weit geöffnet und vieles beigebracht, in unzähligen YouTube Videos, E-Books, Blogposts und UDEMY Lernvideos. Fast schon legendär, seine 10 Regeln der Bildgestaltung und Bildbewertung. Er hat so viel Content geschaffen, das ich sogar heute noch nicht alles gesehen habe. Momentan höre ich seinen Streetcast.fm Podcast und habe noch locker 40 Folgen vor mir. (Danke, Ralf Scherer für den Tipp) Dabei ist es erstaunlich, welchen weg seine Fotografie nahm und in welch kurzer Zeit er vom Fotografie-Anfänger zu einem der, wenn nicht sogar dem besten Street Fotografen überhaupt wurde. Für mich steht er ganz weit oben und über ihm… gibt es eigentlich nichts. Maximal neben ihm. Ja, ich stelle ihn auf eine Stufe mit Maier oder Bresson! Seine Bildsprache fasziniert einfach. Leuthard hat in der enorm kurzen Zeit von 6 Jahren, in der er die Straßenfotografie betrieben hat, sehr hochwertigen Content nicht nur Qualitativ, vor allem auch Quantitativ geliefert, ein Blick auf seinen Flickraccount beweist das.
Der Erfolg wirft natürlich einige Neider auf den Plan, die ihn als Shilouettenknipser oder großen Manipulator verschreien. Letzteres dank seiner Flickr-tricks sicher nicht ganz zu Unrecht. Dennoch, ich liebe einfach seine Bilder, weil sie eben so cool, symmetrisch perfekt, sehr ausdrucksstark sind. Dabei ging er immer mit minimalistischster Technik, aber mit viel Neugier enormer Geduld und schier unglaublichem Arbeitseifer auf die Straße. Bewaffnet mit 2 Olympus OMD EM10, mit umgerechnet 35 und 85mm Brennweite. Er brauchte nicht viel: auch etwas was ich erst verstehen und verinnerlichen musste. Seine Tipps zur Straßenfotografie helfen mir und sicher hunderten anderen Fotografen tagtäglich bei unserer Passion.
In 6 Jahren hat er alles gesehen, wie er sagt, alles ausprobiert und mit einem Schlag schmeißt er hin und hört mit der Streetfotografie für (wahrscheinlich) immer auf. Es wurde ihm offenbar alles Zuviel. Der Druck durch die sozialen Netzwerke, und der Stress wurde offenbar zu groß. Auch hat er die Fotografie doch etwas zu intensiv betrieben. Auf Flickr, auf dem ihm mittlerweile fast 100000 Menschen folgten- so viel wie kaum einem anderen, verabschiedete er sich mit den Worten: „Nichts ändert sich, wenn sich nichts ändert: Die Streetfotografie ist tot“. Mittlerweile postet er wieder Videos auf YouTube (neuer Account, aktuell nichtmal 40 Follower... unglaublich!), mit anderen Themen und lädt ab und zu animierte Bilder auf Flickr hoch. Während er seine Profile auf Facebook, Instagram und YouTube löschte, ist Flickr momentan der einzige offizielle Ort, an dem man seine Bilder sehen kann. Ich bin mir aber sicher: Dieses Talent, welches 99,9% aller Fotografen wahrscheinlich nie haben werden…, das hohe Niveau seiner Arbeiten, das, was er geschaffen hat, wird in ein paar Jahren Kunstgeschichtlich sicher eine große Rolle spielen. Seine Bilder sind eindringlich, mal witzig, mal stylisch, immer auch ideenreich, auch manchmal melancholisch. Für mich bleibt er in Erinnerung als Meister der Symmetrie und des Gestaltens. Ich bereue es, dass ich keinen Seiner stark limitierten Bildbände kaufen konnte. Damals kannte ich ihn noch nicht. Ich bin ihm für vieles Dankbar, u.a. auch dafür das ich erkannt habe, dass Technik nicht alles ist, und man auch mit minimalster Ausrüstung, bahnbrechende Bilder machen kann.- jedenfalls in der Theorie… also mit dem richtigen Talent…. Welches 99,9% der Fotografen eben nicht haben…verdammt….
Falls ihr verfolgen wollt, was er jetzt so alles macht: hier spricht er ca. ein Jahr nach seinem Ausstieg aus der Streetfotografie mit Thomas Füngerlings. Seine Beweggründe werden hier nochmal deutlich.
Update:
Es ist März 2019. Der Podcast Streetcast.fm hat eine neue Folge erhalten, nach genau 700 Tagen. Ausserdem gibt es 2 neue Podcasts mit ihm, in denen es sich nicht um Fotografie dreht. Vor ein paar Tagen war er beim Youtuber Paddy, auf seinem Kanal neunzehn72 zu sehen, und er gibt bald mit ihm zusammen einen Workshop in der Schweiz.
ℹ Flickr Account:
https://www.flickr.com/people/thomasleuthard/
ℹ Lernvideos auf Udemy, mittlerweile sogar Kostenlos:
https://www.udemy.com/bildgestaltung/?dtcode=QWJRPPE3owYM
ℹ Thomas Leuthard auf Youtube
https://www.youtube.com/results?search_query=thomas+Leuthard
ℹ EBooks- kostenlos
https://www.thomas-fuengerlings.de/thomas-leuthard-ebooks-free
ℹ der Legendäre Podcast: Streetcast.fm (Spotify)
https://open.spotify.com/show/1QX9P0S05qaQ82HXEGkWXO?si=4125e991a28a45eb
... warum eigentlich Streetphotography?
Ich habe in den letzten 13 Jahren so ziemlich jedes Genre fotografiert. Von Landschaft über Portraits, Tiere, Macros, Events usw. Ich verkaufe diese Bilder an Werbeagenturen, arbeite mit Muhlack Kiel zusammen, die von mir Motive für Akustikabsorber herstellen, begleite Hochzeiten mit Ganztagsreportagen und portraitiere Menschen.
Zeitgeschichtlich gesehen sind viele dieser Stilrichtungen der Fotografie in meinen Augen meist austauschbar und für mich sehr langweilig geworden. Irgendwann erschien mir alles so inhaltsleer und beliebig. Gerade in der Landschaftsfotografie habe ich doch schon ne Menge gesehen und ausprobiert. Im August 2010 verschlug es meinen Freund und mich in eine Ausstellung des Fotografen Louis Held. Seine Bilder zeigten Weimarer Straßenszenen aus den Frühen 1900 er Jahren. Menschen, die an einem Brunnen anstanden, um Wasser zu holen, und viele andere Fotos mit dokumentarischem Charakter. Bilder aus einer anderen Zeitepoche, das Alltagsleben der Menschen ungestellt und spontan für die Nachwelt festzuhalten…faszinierend, und manchmal auch wunderschön. Held war nach heutiger Lesart einer der ersten deutschen Dokumentar und Reportagefotografen. Wir beide fanden die Bilder so eindrucksvoll, dass wir mehrere Postkarten kauften. Später bekam ich noch von Freunden ein Buch geschenkt. Im Laufe der Zeit erlosch das schwach entfachte Feuer aber wieder, das Buch landete im Regal. Erst beim Schreiben dieses Artikels habe ich es wieder hervorgekramt… Beim Durchblättern merke ich: mittlerweile habe ich dann doch viele Bilder eines ganz anderen Kalibers kennen und lieben gelernt.
Thomas Leuthard
Jahre später, in den Wirren meines YouTube-Abo Algorithmus wurde mir ein Video von Thomas Leuthard vorgeschlagen. Ein Schweizer mit mittelstarkem Dialekt erzählt was über Hmm, Streetfotografie? „kenne ich“ -dachte ich mir. Details von Fassaden, Zebrastreifen, vorbeilaufende Personen in Bewegungsunschärfe, Straßenschilder. Langweilig. Oder doch nicht? Gab es da noch mehr? Ja, sehr naiv… ich weiß 😉 Leuthard schaffte es binnen Minuten, dass ich mich auf einmal brennend für das Thema interessierte. Die Bilder, die er zeigte, waren anders, Gut. Richtig gut! Unglaublich gut! Ich wollte mehr. Verschlang Abend für Abend so ziemlich jedes Video von ihm. Kaufte auf Udemy nen Spreadsheed Workshop von ihm, und tastete mich langsam stück für Stück voran. Vieles was er zeigte klang logisch und hörte sich einfach und planbar an. Wie schwer es wirklich war, musste ich dann später bei meinen ersten Gehversuchen merken. Mein Auge musste zu allererst einmal geschult werden. Ich muss Dinge sehen, bevor sie passieren und mehr. Die rechtliche Situation war mir dabei immer egal. Ich stelle Menschen meist als Silhouette im Gegenlicht, von hinten oder anders unkenntlich dar. Wenn das nicht möglich ist dann auf jeden Fall nie respektlos oder unvorteilhaft.
Technik
Losgezogen bin ich am Anfang mit meiner großen DSLM mit 85mm 1.4ér Objektiv. Wirklich unauffällig ist man damit nicht unterwegs. Der Spiegelschlag ist leider auch recht laut. Außerdem ist der Look mit einem 85ér nicht wirklich „Street“. Also ging ich von nun an mit dem 50 1.4 auf Motivsuche. Motiviert durch meinen super Kollegen und Namensvetter aus Leipzig, der mich ständig mit Feedback unterstützte. An dieser Stelle nochmal: Danke, Andre! Langsam traue ich mich auch an die Menschen ran, aber der Look ist immer noch zu Telelastig. Ich blieb am Ball und versuchte vieles auszuprobieren Spiegelungen, Symmetrien, Gegensätze: das ganze Programm von Leuthards Tipps und Ratschlägen. Ich wollte unauffälliger agieren, denn das Klacken des Spiegelschlags wurde immer mehr zum Problem, je näher ich den Motiven kam. In einem Chat mit einem befreundeten Fotografen empfahl mir dieser doch eine Kompaktkamera mit Vollformatsensor anzuschauen, die RX1R. Mit dieser Kamera (mittlerweile habe ich die MarkII) wurde ich dann glücklich und ich konnte mich nun ganz auf die Motivsuche konzentrieren, unauffällig und lautlos agieren und den Menschen in seinem natürlichen Lebensraum dokumentieren.
Dennoch: leicht ist es nun wirklich nicht, gute Bilder zu erstellen. Vieles muss zusammenpassen. Ein geschultes Auge, die eigene Verfassung, das passende Licht, die richtige Uhrzeit, Geduld… viel Geduld und oftmals auch Glück sind vonnöten, um brauchbare oder gute Ergebnisse zu bekommen. Der Weg ist steinig. Manchmal komme ich mit keinem einzigen guten Bild nach Hause. Dennoch bleibe ich fasziniert und am Ball. Denn es hilft nur eines um immer besser zu werden: so oft wie möglich rausgehen und Fotografieren! Den Blick schulen, Techniken zum unerkannt bleiben lernen, Ideen zur Bildgestaltung erarbeiten, oder eben offen auf die Menschen zugehen, planbares vorbereiten, so oft wie möglich in die Stadt, zum Bahnhof, in die Fußgängerzone.
Da wo Menschen sind und Geschichten erzählt werden muß ich hin, und eigene erzählen.